Weitgehend unbemerkt hat das Kabinett am 17. März die neue Verwaltungsvorschrift Beschaffung beschlossen und ab 1. April in Kraft gesetzt. Die Zurückhaltung in der Pressearbeit wird der Bedeutung des Vorgangs nicht gerecht, denn die VwV Beschaffung hat für die Beschaffungspraxis weitreichende Konsequenzen.
Um mit dem Grundsätzlichen zu beginnen: Die Auftragsvergabe des Landes wird durch die VwV Beschaffung unter anderem auf das Ziel einer weitgehend klimaneutralen Landesverwaltung ebenso verpflichtet wie auf die Berücksichtigung der Entwicklungspolitischen Leitlinien und die Gewährleistung guter und sicherer Arbeit für alle Beschäftigten, der Chancengleichheit und Gleichstellung von Männern und Frauen im Beruf und der sozialen Integration benachteiligter Personen.
Aus entwicklungspolitischer Perspektive besonders erfreulich ist die Stärkung des Fairen Handels und die obligatorische Berücksichtigung sozialer Mindeststandards in der Lieferkette. Zum Fairen Handel heißt es in der Verwaltungsvorschrift: „Im Rahmen der Vergabevorschriften sind unter den am Markt befindlichen und für den vorgesehenen Verwendungszweck ... gleichwertig geeigneten Erzeugnissen ... fair gehandelte Produkte zu bevorzugen.“
Bei bestimmten Produktgruppen „sollen“ Liefer- und Dienstleistungen mit zusätzlichen Bedingungen an die Auftragsausführung vergeben werden, „die das beauftragte Unternehmen verpflichten, den Auftrag ausschließlich mit Produkten auszuführen, die unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen und hergestellt worden sind.“ Die ILO-Kernarbeitsnormen untersagen Zwangs-, Sklaven- und Kinderarbeit, gewähren Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen und verbieten Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Damit geht die VwV Beschaffung deutlich über die VwV Kinderarbeit von 2008 hinaus, die sich nur auf ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne des ILO-Übereinkommens 182 bezog.
In einer Anlage zur VwV Beschaffung sind die Produktgruppen festgelegt, bei denen die ILO-Kernarbeitsnormen berücksichtigt werden müssen, wenn bei dem Auftrag Produkte verwendet werden, die in Afrika, Asien und Lateinamerika gewonnen oder hergestellt wurden. Das sind Textilien und Bekleidung, Sportbekleidung und -artikel, Spielwaren, Teppiche, Lederwaren, Natursteine, Agrarprodukte sowie „Billigprodukte aus Holz“.
Der Nachweis für die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen - im Unternehmen des Bieters, des Produktherstellers und bei dessen direkten Zulieferern - kann entweder durch ein vom Auftraggeber verlangtes oder ein gleichwertiges Gütezeichen erbracht werden. Statt eines Nachweises kann auch die Zusicherung gegeben werden, dass „aktive und zielführende Maßnahmen“ ergriffen wurden, „um die Beachtung des Wesensgehaltes der ILO-Kernarbeitsnormen ... zu gewährleisten“. Diese Maßnahmen sind nachvollziehbar darzustellen. Eine einfache Bietererklärung wird nicht mehr als Nachweis akzeptiert.
Die VwV Beschaffung ist von allen Behörden und Betrieben des Landes sowie den landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden. Den Kommunen soll in einer weiteren Verwaltungsvorschrift, der VwV Vergabe, noch in diesem Jahr empfohlen werden, entsprechend den Grundsätzen und Regelungen der VwV Beschaffung zu verfahren. Die VwV Kinderarbeit tritt dann außer Kraft.
Viele der von zivilgesellschaftlicher Seite an die Landesregierung herangetragenen Erwartungen (vgl. Positionspapier des DEAB vom Oktober 2014) wurden bei der Erarbeitung der VwV Beschaffung aufgegriffen, allerdings nicht alle. So ist nicht vorgesehen, dass die Vergabestellen regelmäßig über die Umsetzung der VwV Beschaffung berichten. Die geografische Eingrenzung der Regelung zu den ILO-Kernarbeitsnormen auf Afrika, Asien und Lateinamerika blieb erhalten, ebenso die Mängel in der Produktgruppenliste, in der sehr unspezifisch von „Billigprodukten aus Holz“ die Rede ist und in der beispielsweise Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie fehlen. Bedauerlich ist ebenfalls, dass aktive und zielführende Maßnahmen auch dann als Nachweis akzeptiert werden, wenn ein unabhängiger Nachweis mittels eines Gütezeichens zur Verfügung stünde.
Diese Punkte sollten berücksichtigt werden, wenn die VwV Beschaffung, die bis 31. Dezember 2021 gültig bleibt, ab Mitte 2016 der dann neuen Rechtslage auf Bundesebene angepasst wird. Bis April 2016 muss nämlich die am 18. April 2014 in Kraft getretene europäische Vergaberichtlinie in nationales Recht umgesetzt sein.