Offener Brief zur Ratifizierung von CETA und Vorschläge zum EU-Mercosur Abkommen

Der landesweite Dachverband Entwicklungspolitik Baden Württemberg (DEAB) hält die Ratifizierung des Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen EU und Kanada, CETA, nicht für vereinbar mit den Zielen einer global gerechten und nachhaltigen Entwicklung.

 

 

 

 

 

 

 

Stuttgart, 17. Okt. 2022

Offener Brief zur Ratifizierung von CETA
und Vorschläge zum EU-Mercosur Abkommen

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
der Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg (DEAB) bittet Sie, im Bundesrat der Ratifizierung des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen EU und Kanada, CETA, in seiner jetzigen Form nicht zuzustimmen.

Wir halten das Abkommen in wesentlichen Teilen für nicht vereinbar mit den Zielen einer global gerechten und nachhaltigen Entwicklung, die auch in besonderer Weise im Koalitionsvertrag der Landesregierung postuliert wurden. Besonders zu erwähnen ist hier der Investorenschutz mit einem außergerichtlichen Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus (ISDS). Bisherige Erfahrungen mit diesem Mechanismus haben gezeigt, dass er international tätigen Unternehmen Tür und Tor dafür öffnet, demokratisch beschlossene Maßnahmen zum Schutz des Klimas, der Umwelt und
der Menschenrechte anzufechten.

Weitere kritische Aspekte sind

• die so genannte regulatorische Kooperation, die zu einer „Harmonisierung nach unten“, also einer Absenkung von Standards, z.B. bei Pestizidbelastung, und einer Schwächung des Vorsorgeprinzips, führen kann;

• die Verbreitung umweltschädlicher und in Deutschland bisher auf weitgehende Ablehnung stoßenden Praktiken wie Gentechnik in der Landwirtschaft oder Fracking;

• die Öffnung für Anbieter aus Kanada, die die Einführung von Kriterien für nachhaltige öffentliche Beschaffung erschweren kann;

• Billigkonkurrenz aus industrieller kanadischer Landwirtschaft, welche die bäuerlichen Kleinbetriebe hier bei uns und Agrarproduzent*innen im globalen Süden, die bisher in die EU exportieren, verdrängen kann.

Die Bundesregierung teilt zwar einige Bedenken, insbesondere zum Investorenschutz, will das Abkommen aber dennoch zügig abschließen und strebt an, durch eine derzeitverhandelte Interpretationserklärung der missbräuchlichen Anwendung des Investorenschutzes vorzubeugen.

Wir halten dieses Vorgehen für inkohärent. Wenn es so starke Bedenken gegen das Abkommen gibt, dass eine Zusatzerklärung notwendig wird, dann muss abgewartet werden,ob der Inhalt dieser Erklärung die Probleme wirklich wirksam beseitigt, bevor dem Abkommen zugestimmt werden kann. Ein kürzlich veröffentlichtes Rechtsgutachten zum Entwurf der Interpretationserklärung kommt zum Ergebnis, dass diese nicht geeignet sein wird, die missbräuchliche Anwendung wirksam zu verhindern.

Die frühere Landesregierung hatte sich, damals mit Bezug zum vergleichbaren Fall des Abkommens mit den USA, TTIP, ablehnend zu dem ISDS geäußert.

Auch die Verhandlungen der EU mit dem Mercosur sind abgeschlossen, die Ratifizierung verzögert sich aber, weil es erhebliche Kritik von EU-Mitgliedstaaten an umwelt- und klimaschädlichen Aspekten des Abkommens gibt. Auch hier sollte ein Zusatzprotokoll die Bedenken ausräumen.
Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wächst der Druck, Freihandelsverhandlungen wie die mit dem Mercosur zügig abzuschließen, um die durch Sanktionen gegen Russland entstandenen Lücken, etwa bei der Rohstoffversorgung, zu schließen und den Block der offenen, demokratischen Staaten zu stärken.

Aktuellen Meldungen zufolge strebt die EU-Kommission nun an, durch Aufteilung des Abkommens den Freihandelsteil separat abzuschließen, um die bisher notwendige Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten zu umgehen. Aber auch in Krisenzeiten dürfen Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz nicht einseitigen ökonomischen Interessen geopfert werden. Der Handel mit dem Mercosur ersetzt keine russischen Gaslieferungen. Im Amazonas-Gebiet verstößt die brasilianische Regierung unter Präsident Bolsonaro massiv gegen die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen und gefährdet das Weltklima.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sind Bedingungen für eine Ratifizierung des Abkommens festgehalten, die wir aber nicht für ausreichend halten. In einem Rechtsgutachten deutscher NRO wurden Verbesserungsvorschläge an dem Abkommen zum Schutz der indigenen Völker, der Menschenrechte, der Arbeitnehmerrechte, der Umwelt und des Klimas gemacht.

Wir bitten Sie, die Bundesregierung aufzufordern, diese Vorschläge im Europäischen Rat einzubringen und einer Umgehung der nationalen Ratifizierung eine Absage zu erteilen.

Wir freuen uns, wenn wir zu den angesprochenen Themen mit Ihnen ins Gespräch kommen können.

Mit freundlichen Grüßen,
im Namen des DEAB-Vorstands

Claudia Duppel
Geschäftsführerin

 

cc: Sts. Rudi Hoogvliet